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Blind dem eigenen ich gegenüber

Dick sein ist schlecht, es ist eklig, es kostet Geld, und vor allem ist es ungesund – als wären mir die Negativpunkte nicht alle bewusst gewesen. Die Umwelt nahm mich anders war, als ich mich selbst sah. Fragen wie: „Wieder dicker geworden?!“ bekam ich oft zu hören. „Nein“, war ich selber überzeugt. Solche Aussagen ignorierte ich schlicht, um nicht mit dem Problem konfrontiert zu werden. Mein Übergewicht war mir bewusst, konnte aber nichts dagegen tun. Ich war in dieser Situation, in diesem Körper, gefangen. Ich mied die Waage wie die Pest und kontrollierte die Gewichtszunahme nie auf ihre Richtigkeit. Ich wusste ganz genau, dass eine Gewichtskontrolle durchaus negativ ausfallen würde. Durch den Verzicht mein Gewicht zu messen, verschaffte ich mir nur die Gewissheit, selber recht zu haben, nicht zugenommen zu haben. Die Gewichtszunahme fiel mir sowieso nicht auf, die paar Gramm pro Tag erkannte ich im Spiegel nicht. Menschen, denen ich selten begegnete, und mich vielleicht dünner in Erinnerung hatten, fielen die angesammelten Kilos sofort auf. Ich realisierte nicht, dass ich immer dicker wurde. Ich lebte täglich mit der Überzeugung, mich überhaupt nicht verändert zu haben. Darum kam mir auch nie der Gedanke, etwas an dieser Situation zu ändern. Ich wollte lediglich, dass die dummen Sprüche endlich aufhörten.

Langsam wurde es eng um die Hüften

Als mir Kleidergrösse XL zu eng wurde, begriff ich, dass ich doch an Gewicht zugelegt hatte. Fotos von mir hasste ich, genau wie mein Spiegelbild. Ich konnte mich nicht ansehen, fühlte mich von meinem eigenen Körper angeekelt. Mein eigener Anblick konnte ich nur schwer ertragen. Aus dieser Zeit existieren daher nur wenige Fotos, ich scheute die Kameralinse und sah auf Bildern nie gut aus. Meine eigene Wahrnehmung war verzerrt und ich wollte die Realität nicht akzeptieren, welches mir mein Spiegelbild zu vermitteln versuchte. Die Wahrheit blieb meinen Augen stets verborgen. Ich bemerkte meine Veränderungen nicht, wusste aber über meine überschüssigen Kilos dennoch Bescheid. Mein Gewicht spielte ich herunter und betrachtete die Sache als halb so schlimm. Der Gedanke, dass es noch dickere Menschen gab, beruhigte mein Gewissen. Die Klarheit, dass es anderen noch schlechter ging, munterte mich auf. Absolut die falschen Gedanken um sich selbst besser zu fühlen.

Ich bin ein schlechter Mensch

Mit mir selbst hatte ich nie ein Problem, ich war glücklich, war zufrieden. Nicht immer, aber meistens, mit normalen Hochs und Tiefs. Schwer belastete mich hingegen, die Wahrnehmung meines Umfelds. Sprüche über mein Gewicht verletzten, waren sie auch noch so lieb gemeint. Solche Aussagen können gar nicht lieb gemeint sein, für den Betroffenen schon gar nicht! Ich gewichtete die Meinung anderer sehr stark, zu stark wie sich herausstellte. Gut dazustehen war mir wichtig. Gemocht zu werden, beliebt zu sein, das wünschte ich mir. Wegen den abschätzigen Blicken, fühlte ich mich oftmals schlecht und fehl am Platz. In diesen Situationen spürte ich, dass andere Menschen mich verachteten, wohl, weil ich keinem Ideal entsprach, ihrem Ideal. Sie ekelten sich vor mir und verurteilten mich als faulen, fetten Sack – als schlechten Menschen. Möglicherweise war es keine Absicht oder ihre Gedanken waren gar nie so negativ, doch genau das, habe ich mir ständig eingebildet. Vieles redete ich mir ein und machte mich selber schlecht. Ich war von mir nicht mehr überzeugt und fühlte mich falsch. Es machte mich traurig und auch wütend. Ich isolierte mich immer mehr und fing an, den Kontakt zu anderen Menschen zu meiden. Freibad Besuche waren schon längst gestrichen, zu sehr schämte ich mich und wollte vermeiden, dass sich meine Mitmenschen noch mehr vor mir ekelten. Dies wurde mir über die Jahre eingetrichtert oder ich redete es mir ein: du bist hässlich, du bist fett, du bist nichts wert, du bist falsch. Immer weiter versank ich im eigenen Selbstmitleid und glaubte bald, ein schlechter Mensch zu sein.

Die anderen haben Schuld. Die Suche nach dem Schuldigen

Mir gab ich nie die Schuld am dick sein. Schlechter Umgang oder negative Umwelteinflüsse waren die Verursacher. Fast Food, Softdrinks, Zucker, kein Sport, alle waren schuldig an meiner Situation. So vielen schlechten Einflüssen konnte ich mich niemals zur Wehr setzen, meine Chancen waren zu gering, meine Kraft nicht ausreichend. Stetig negative Gedanken und Hoffnungslosigkeit zogen mich immer weiter in ein tiefes, dunkles Loch. Warum hat niemand auf mich aufgepasst? Warum hat es niemand verhindert? Das ich für mein eigenes Schicksal verantwortlich war und bin, war mir damals nicht bewusst. Mich traf keine Schuld, dabei war ich immer für mich selbst verantwortlich, realisierte dies damals nur nicht.

Das nächste Kapitel „Einsamkeit als Beziehungskiller“ handelt von der Einsamkeit in die man sich zurückzieht, wenn man sich selber nicht mehr wertschätzt.

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Marc Schürmann

Ich wurde 1983 geboren und wohne in Graubünden. Ich bin der Gründer von allmountain.ch und blogge über meine grösste Leidenschaft, dem Mountainbiken.

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